Halbzeit!

Selten hat mich ein Turnier derart wenig tangiert, wie die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 es tut. Nicht wissenschaftlich belegte Gründe mögen wohl die Ursache hierfür sein. Darunter fallen das angenehme Sommerwetter, die (zu) verplante Freizeit oder etwa das Versäumnis mich beim Tippspiel anzumelden. Ein wesentlicher Grund jedoch ist die fehlende Teilnahme meines Lieblingsteams und der dazugehörigen musikalischen Fangemeinde. Die irren Iren fehlen: sowohl auf dem Platz, der Zuschauertribüne als auch in der Fanmeile. Denn vor sechs Jahren an der Europameisterschaft 2012 haben sie das geschafft, was bislang niemand geschafft hat: mein (Fussballer)herz höher, schneller und weiter schlagen zu lassen. Kurzum haben sie mich damals mit ihrer Begeisterung, ihrer Euphorie und ihrem Lied «the Fields of Athenry», mit dem sie im sonst verstummten Stadion zu Danzig weit über die Spielzeit hinaus ihrem Team Respekt und Liebe zollten, an der Hand genommen und damit mein Herz berührt. Die Iren haben bewiesen, dass es möglich ist, würdevoll zu verlieren und damit den grössten Gewinn zu verbuchen, der beim Sport verbucht werden kann: Fairplay.

Dieses ehrenhafte Verhalten auf und neben dem Spielfeld fehlt mir an dieser WM. Sinnfreie Aktionen von Spielern gefolgt von zeitweise wirklich dummen Äusserungen vermiesen mir die Stimmung derart, dass eine emotionale Beteiligung zum abwegigen Gedanken verkommt.
Zu oft drehen sich die Themen um Nationalismus, schizophrene Herzen, um Mehr- oder Minderwertigkeit, um Unsummen an Geld, das hin und her fliesst. Weshalb? Warum? An wen? Wir sprechen von Superlative. Von vielen Nullen – im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn. Was sich da noch um Fussball – einen Mannschaftssport – dreht, frage ich mich?

Dass Fussball mit Politik und Macht im direkten Kontext steht, hat die Autorin bereits in anderen Beiträgen verarbeitet (hier und hier). Dass sich jetzt neben Politikern auch noch Hobby-Wissenschaftler zum Thema «Fussball» einmischen – und damit die wirklich fussballinteressierten Mitbürger, denen es um die 22 Mannen auf dem Feld und sonst um gar nichts geht, aufmischen – ist dann doch auch mir zu viel des Guten. Selbsternannte Pädagogen, Podologen, Ornitologen, Psychologen und Historiker – hier von mir auch Demagogen genannt – scheinen wie Pilze nach einem Herbstregen aus dem Boden zu schiessen, geben sich vermeintlich wortreich zu Aktionen und Themen, die sie entweder schlecht oder gar nicht recherchiert haben und verteilen schlussendlich ihren geistlosen Durchfall in Foren, die der Intelligente besser meidet. Das Schlimme daran? Die Fussball-WM 2018 verkommt zur Rassismus- und Migrationsdebatte schlechthin und entfernt sich so weit vom Thema, wie man sich nur entfernen kann.

Sollten demnach der zweiten Halbzeit die Glanzmomente ausbleiben – und ich rede hier nicht von spektakulären Toren oder Torschützenkönigen – sollte sich die WM-Spirale weiterhin in eine negativ-destruktive Richtung entwickeln, werde ich ausschalten müssen, bis die Iren eines Tages wieder dafür sorgen werden, dass ich meine Meinung zum Thema Fussball revidiere. Zwischenzeitlich gönne ich mir hin und wieder «the Fields of Athenry» aus dem Jahre 2012. Für mich nicht nur ein Lied, sondern ein Gefühl. Videobeweise dazu bestehen genug.

Hinterlasse einen Kommentar

Webseite erstellt mit WordPress.com.

Nach oben ↑